Im Stutengarten wird das Holz knapp

Sommerferien  – Drei Wochen lang regieren am Neckarpark die Bürger der Kinderspielstadt und üben sich als Staatsbürger. In den Zelten werden 72 Berufe ausgeübt. Viele Firmen unterstützen das Ferienangebot mit Sachspenden und persönlichem Einsatz vor Ort. Von Sybille Neth

Rohlinge-Saegewerk

Es herrscht Ruhe in der Stadt. Geschäftige Ruhe. 500 Kinder gehen im Stutengarten jeden Morgen ihrer Arbeit nach als Bäcker, Schneider, Schreiner, Zahnarzt, als Polizist oder Blumenmädchen, als Tierpfleger oder Postbeamter, als Optiker, Fernsehreporter oder Bürgermeister. Der wird immer dienstags gewählt, denn jeweils montags wird die Kinderkommune in drei aufeinander folgenden Sommerferienwochen von und mit neuen Bürgern neu gegründet.

vogelhaus1Die Bürger vom Stutengarten gehen dann erst einmal zur Arbeitsagentur und suchen im PC nach offenen Stellen. Häufig ist der Traumjob natürlich schon weg oder der kleine Bruder macht einen Strich durch die Rechnung, so wie bei der zwölfjährigen Franziska. “Eigentlich wollte ich zum Zirkus, der Leo wollte aber in die Bäckerei oder zur Bank. Dann hat er mich zur Schreinerei überredet”, erzählt sie. Jetzt sind die Geschwister glücklich über ihren Job als Schreiner und er siebenjährige Leonhard berichtet stolz: “Wir bauen ein Vogelhäuschen zusammen”.

holzbankDas Holz dafür kommt aus dem mobilen Sägewerk von Rudolf Rössner. Der Schreiner und Forstwirt aus der Nähe von Backnang ist zum ersten Mal in der Spielstadt dabei. Er nimmt drei Wochen lang die Bestellungen der verschiedenen Betriebe entgegen und die Kunden kommen und holen ab, was er für sie zurecht gesägt hat. “Grosse Lieferungen werden von einer Polizei-Eskorte zur Schreinerei begleitet”, berichtet er lachend. Das ist keine Übertreibung: Der Sägewerkbesitzer schneidet nicht etwa nur die Rohlinge für Vesperbrettchen zurecht. Kürzlich bauten die Kinderschreiner unter Anleitung von Moh Portuoudo Alvarez eine stattliche Bank, damit sich die Beschäftigten des Pferdestalls auch mal ausruhen können. Moh Portuoudo Alvarez ist ausgebildeter Schreiner und studiert jetzt. Sontan hatte er die Idee, den Kindern und Jugendlichen ganz praktisch zu zeigen, was sich aus Holz alles herstellen lässt. ” Ich habe eines der Plakate gesehen, auf denen stand, dass noch Mitarbeiter gesucht werden und habe mich beworben”, sagt er.

BushaltestelleUm das Holz, das mit den Nachwuchsschreinern verarbeitet werden sollte, gab es im Frühjahr einige Querelen. Ursprünglich gab es die Idee, dass die Kinder 32 Stämme der im Schlossgarten für S 21 gefällten Bäume im Stutengarten verarbeiten können. Diesen Plan liess die Stuttgarter Jugendhausgesellschaft als Veranstalter aber fallen. Rudolf Rössner hat die jetzt genutzten Stämme daher in zwei grossen Fuhren aus seiner Heimat bei Backnang hertransportiert. Mittlerweile ist schon so viel Holz zu Regalen, Bodendielen, Skulpturen und Haltestellenschildern für die Stutengarten SSB verarbeitet worden, dass die Vorräte für die dritte Veranstaltungswoche nicht mehr ausreichen werden. Deshalb ist Ulrike Weinz, die Seele der Kinderspielstadt, händeringend auf der Suche nach Nachschub, den Roessner in den Stutengarten abtransportieren kann.

Mit ihrem Goggomobil ist die Polizei in Stutengarten schnell zur Stelle. Die Berufe mit Fahrzeug erfreuen sich großer Beliebtheit. Foto: Wildermuth

Mit ihrem Goggomobil ist die Polizei in Stutengarten schnell zur Stelle. Die Berufe mit Fahrzeug erfreuen sich großer
Beliebtheit. Foto: Wildermuth

Ulrike Weinz hat den Stutengarten vor acht Jahren erfunden. “Die Stadt wandelt sich natürlich immer wieder”, berichtet sie. “Dieses Jahr haben wir bespielsweise viele Kinder mit Handicap. Wie in einer richtigen Stadt eben auch”, berichtet sie. Neu ist unter anderem dieses Mal die eigene “Quelle” zum Trinkwasser zapfen. Weinz ist die Ideegeberin und so hat sie vor Jahren ein herunter gekommenes Goggomobil im Internet ersteigert. Auszubildende aus der Kraftfahrzeugbranche haben es wieder restauriert und jetzt ist es das grünlackierte Polizeiauto von Stutengarten – fahren dürfen freilich nur die Betreuer damit. 300 von ihnen arbeiten in der Kinderspielstadt als pädagogisches Personal. Hinzu kommen die Mitarbeiter der zahlreichen Unternehmen, die den Betrieb der Handwerksbetriebe und Ladengeschäfte in Stutengarten managen.

mosaiktisch

Neben grossen Discountern, dem Einzelhandel sowie Banken und Versicherungen, sind auch Künstler mit von der Partie, so wie Ilonka Vukas. Bei ihr können die Stutengartenbürger Mosaikteller, Spiegel oder verzierte Holzhocker herstellen. Auch Blumenspenden holt Ulrike Weinz morgens vom Grossmarkt, und die zehnjährige Daphne geht mit ihrem Korb durch die Strassen und verkauft Sträusse für zehn Stuggis, der Stutengartenwährung. Die Einnahmen können sich die Kinder am Ende vergolden lassen, in Form von golden eingewickelten Bonbons oder sie können sie an das Kinderhilfswerk Unicef spenden – dann werden sie in echte Euro umgetauscht.

vogelhaus2Zwar wird in Stutengarten an vielen Stellen gebacken, gebrutzelt und gemixt, ein Mittagessen gibt es aber dennoch für alle zentral. Täglich gegen 11:30 Uhr kommt ein Transporter und bringt 700 Portionen frisch gekochte Speisen. Zubereitet werden diese vom Koch und den Küchenazubis der Waldorfschule Filderstadt. Und damit alle von den grossen und kleinen Ereignissen des Tages erfahren, berichten die Stuggi-Tagesthemen und die Stutengarten Nachrichten zum Beispiel darüber, dass es an der Pommesbude skandalös lange Wartezeiten gibt, dass die Werbeagentur ihre Steuern nicht bezahlen will, dass der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz seinen jungen Kollegen einen Besuch abgestattet hat oder dass die Kinder am Nachmittag eine Friedensdemo veranstaltet haben.

Stuttgarter Zeitung 30/08/2014